Die Britannien-Saga. Band 1 und 2: Hengist und Horsa / Brand und Mord
Aus Kapitel II. Alte Freunde
Verulanum im Oktober 443
Ceretic
Nach einigen Tagen, in denen Ceretic vergebens auf eine Gelegenheit, sich Rowena zu erklären, gehofft hatte, bemerkte er eine Regelmäßigkeit in ihrem Tagesablauf. Abends verschwand sie für eine Stunde aus dem Palast. Sie drehte jeden Tag eine Runde durch die Ställe, um nach ihrem grauen Sachsenhengst zu sehen. Ceretic nahm all seinen Mut zusammen und packte die Gelegenheit beim Schopf. Wie erhofft, traf er Rowena mit dem Tier allein. Hinter einem Balken hielt er inne und beobachtete sie. Sie war so schön wie an jenem Tage, als sie sich am Beufleet ewige Liebe geschworen hatten. Doch die Geste, mit der sie dem Ross das Brot fütterte, war langsam und unglaublich traurig.
Die Königin musste seine Anwesenheit gespürt haben. Plötzlich, ohne sich zu ihm umzuwenden, sprach sie ihn an. »Ceretic ap Ruohim«, begrüßte ihn ihre eisige Stimme. »Der erfolgreiche Werber meines Mannes. Erst holt er ihm die Krieger Sachsens und dann wirbt er ihm als Draufgabe noch eine Ehefrau! Ich bin erstaunt, dass du dich noch hierher traust. Doch eins muss ich dir lassen: Kühn warst du schon immer.« Nun wandte sie sich endlich um. Böse funkelten ihre klaren blauen Augen.
Ceretic fühlte es wie Stiche in der Brust. Doch gleichzeitig wurde ihm klar, wie töricht es gewesen war, zu fliehen. Diese Frau war sein Leben. »Du hast Recht, mit mir zu schimpfen«, gestand er.
Sie hob erstaunt die Augenbrauen. »Soll das eine Entschuldigung werden?« Ihre Stimme hatte nichts von der Kälte verloren.
»Nur dafür, dass ich geflohen bin. Ich konnte nicht ertragen, wie mein König seine Hand nach dir ausstreckte, aber ich konnte es auch nicht verhindern.«
»Du konntest es nicht verhindern? Du hast doch selbst für ihn geworben!«
Ceretic wurde es heiß. Er spürte, dass dieses Gespräch über Glück und Unglück seines weiteren Lebens entscheiden würde.
»Ich schulde meinem König dieselbe Treue wie du deinem Vater«, erwiderte er grob. Er sah etwas wie Schuldbewusstsein in ihren Augen.
»Wie kann ich mich, als einfaches Mädchen, dem Willen meines Vaters und seines selbsterwählten Königs widersetzen? Es ist nicht gerecht, dass gerade du so redest. Ich hatte keine Wahl.«
»Auch du hättest fliehen können«, behauptete er hart.
»So war es nur deine Königstreue, die dich dazu trieb, meinem Vater diese Ehe anzutragen?«, fragte sie und ihr Gesicht nahm einen bestürzten Ausdruck an. »War es denn nicht von Anfang an so geplant?«
»Selbst meine Königstreue hätte mich nicht so weit getrieben, und auch nicht, dass mir Vortigern mit dem Tode drohte, wenn ich nicht nach seinem Wunsch übersetze. Aber als du selbst mich sofort fallen ließest, das war zu viel für mich. Ich dachte, ich würde auf der Stelle sterben. Du selbst hast mir doch von der Prophezeiung erzählt, die dir einen König als Ehemann versprach. So entschied ich mich, allein davonzulaufen.« Er sprach schnell weiter, vielleicht würde sie ihm lange genug zuhören, um seine wahren Gefühle zu erkennen. »Ich liebe dich immer noch so wie damals am Ufer des Beufleet und habe keinen Augenblick darin gewankt!«
Ihre Augen glänzten feucht. »Kein Wort mehr davon. Du weißt nicht, was du anrichtest. Du musst deinem König die Treue halten, wie ich es meinem Vater und nun auch meinem Ehemann schulde. Es ist besser, du gehst wieder fort.« Sie holte tief Luft und Ceretic sah, dass sie mit den Tränen kämpfte.
Eine Träne kullerte ihre Wange herab. Da konnte Ceretic nicht länger an sich halten, entschlossen nahm er sie in die Arme. »Du hattest Recht, mich zu schmähen, weil ich dich im Stich gelassen habe. Wenn ich dich schon nicht besitzen kann, dann will ich dich doch verteidigen. Gegen böse Reden wie gegen Schwerter, Feuer oder Wasser, ganz egal. Solange ich, Ceretic ap Ruohim, atme, soll dich niemand mehr schmähen.«
Sie weinte leise an seiner Schulter. Dann hob sie den Kopf. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist!